Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953 – Berichte aus Hermsdorf
Nach einer Schilderung von Michael Warsitzka beruhend auf Erzählungen seines Großvaters:
 
 

Mein Großvater war seit 1949 als Keramik-Dreher in Hermsdorf tätig. Er arbeitete im größten Hermsdorfer Betrieb, der damals unter Verwaltung der sowjetischen Militäradministration stand und unter SAG HESCHO-KAHLA, Abteilung Kabel Hermsdorf firmierte. Generaldirektor war Dimitri Iwanowitsch Jessakow. Diese Firma umfasste die Produktionsstätten Hermsdorf mit Gera, Kahla, Köppelsdorf, Spegau und Könitz. Es wurden vornehmlich Hochspannungs- und Niederspannungskondensatoren sowie chemisches und technisches Porzellan produziere. Zur Versorgung der Bevölkerung wurden gleichzeitig feuerfestes Geschirr, Bügeleisen, Milchtöpfe und Isolatoren produziert. Im Jahr 1952 erfolgte die Übergabe an die Regierung der DDR und die Umgewandelt in einen Volkseigenen Betrieb (VEB) Keramische Werke Hermsdorf.

Zahlreiche, der 1953 beschäftigte Arbeiter waren auch gewerkschaftlich organisiert waren. Mein Opa selbst war Mitglied in einer Abteilungsgewerkschaftsleitung (AGL). Diese unterstanden der Betriebsgewerkschaftsleitung (BGL). Anfänglich hatte die Gewerkschaft noch erheblichen Einfluss auf das Arbeitsleben und die Produktion ihrer Unternehmen, schwenkten später aber voll auf den Kurs von Partei und Regierung ein.

Die unmittelbaren Tage vor dem 17. Juni hatte wohl noch keiner an Demonstrationen der Arbeiter gedacht. In Flüsterpropaganda verbreitete sichr schon das Gerücht über neue Normerhöhung, doch erst am 17. Juni bestätigten sich diese. Eigentlich begaben sich die Arbeiter auch an diesem Tag wie gewohnt zu ihren Arbeitsplätzen. Allerdings verbreitete sich schnell die Nachricht und die Betriebsleitung bekam einen entsprechenden Bescheid geschickt. Die Arbeitsnormen sollen um 10 Prozent gesteigert und gleichzeitig die Lebensmittelpreise angehoben werden.

Die Belegschaft der Abteilungen der KWH reagierten verhaltener, einige weniger heftiger. Die meisten legten zunächst ihre Arbeit nieder und warteten das Geschehen ab. Am engagiertesten soll dabei die Schleiferei gewesen sein, welche schon zum Protestmarsch aufrufen wollte. Dieser endete jedoch auf dem Fabrikhof. Das Verhalten der SED-Parteimitglieder in dieser Situation war eher zurückhaltend. Manche verliesen sogar das Werk. Höchstwahrscheinlich hatten sie Angst, dass die allgemeine Entrüstung aggressivere Züge annehmen könnte.

Gegen 10 Uhr mussten schließlich die Abteilungsgewerkschaftsleiter, so auch mein Opa, zu einer Versammlung der zur BGL antreten. Sie fand im Konferenzraum im „Weißen Haus“ statt.. Mein Opa und seine Kollegen sollten ihre Unterschrift unter den Normerhöhungsbeschluss setzen, damit sie in Kraft treten können. Als jedoch alle Gewerkschaftler geschlossen aufstanden und den Saal verließen, ohne das Manuskript unterzeichnet zu haben, waren die Beschlüsse zunächst gescheitert. Die Arbeitnehmervertreter kehrten in ihre Abteilungen zurück. Dort berichteten sie von der Angelegenheit, dass mit der Verweigerung der Gewerkschaften die Normerhöhungen nicht durchgesetzt werden können. Die unruhigen Arbeiter konnten in etlichen Diskussionen schließlich beschwichtigt werden, sodass die Aufruhrstimmung in Hermsdorf nicht in Demonstrationen ausartete.

Mein Opa verließ bei Dienstschluss seinen Arbeitsplatz. Mit dem Bus, welcher planmäßig fuhr, begab er sich zu seinem Wohnsitz nach Eisenberg, ohne zu ahnen, dass das Geschehen dort ganz anders abgelaufen war.
Am späten Nachmittag, als er gerade Holz hackte, kam ein Kumpel durch das Tor gestürmt. Erhitzt erzählte er von einem Demonstrationszug, der sich Richtung Rathaus am Eisenberger Marktplatz bewegte. Doch mein Großvater ließ sich nicht dazu überreden sich anzuschließen.

Erst einige Tage später erfuhr er den genauen Ablauf der Demonstration in Eisenberg. Ein gewisser Herr Knoll, welcher nach dem 17. Juni in der KWH eingestellt wurde, erzählte seine Geschichte. Er wäre bis zum Tag des Volksaufstandes Leiter des Werkschutzes im Eisenberger Schamotte-Werk gewesen. Dies war ein Zulieferbetrieb für Schammotteteile für die Porzellanfabriken im Thüringer Raum. Hier formierten sich die Arbeiter zu Protesten und das energischer als in Hermsdorf. Die Arbeiterschaft wollte geeint auf die Straßen demonstrieren gehen, weil die dortigen Gewerkschaften nicht eingelenkt hatten. Werkschutzleiter Knoll und seine Mitarbeiter sollte die Arbeiter an den Fabriktoren aufhalten, was wegen der zahlenmäßigen Unterlegenheit natürlich misslang, schließlich waren auch hier ungefähr 500 Angestellte an den Maschinen tätig. So konnte der Demonstrationszug bis zum Marktplatz vorstoßen, wo man lauthals gegen die Normerhöhung protestierte. Dies war noch nicht lang im Gange, da kam eine Nachricht aus Silbitz. Die Arbeiter aus dem dortigen Stahlwerk wären unterwegs nach Eisenberg um sich den Kameraden anzuschließen.

Doch die Enttäuschung folgte auf den Fuß. Schnell erfolgte nach dem Eintreffen der Demonstranten auf dem Marktplatz der Aufmarsch sowjetischer Soldaten und sogar ein Panzer fuhr vor. Mit Warnschüssen demonstrierten sie ihre Überlegenheit, die Menge wurde auseinander getrieben. Auch der Trupp aus dem Silbitzer Stahlwerk wurde an der Stadtgrenze von Soldaten aufgehalten und zur Umkehr gezwungen. Damit konnte in Eisenberg, wie in vielen anderen ostdeutschen Städten, der Aufstand nur mit sowjetischer Militärhilfe unterdrückt werden.

Ob es als Konsequenz Verhaftungen gab, ist nicht bekannt. Lediglich die Entlassung des Werkschutzleiters Knoll ist überliefert, wodurch er eben in der KWH eine neue Arbeit suchte. Die Gewerkschaft in Hermsdorf jedoch blieb unberührt, schließlich behielt sie Recht, da die Normerhöhungen nicht umgesetzt wurden.


Quelle: Geschichtswerkstatt Jena e.V. "Gerbergasse 18"
 
In der Nacht vom 16. zum 17. Juni 1953 wird in der Nähe des Hermsdorfer Kreuzes eine mit Kreide auf die Autobahn gemalte Forderung entdeckt: "Wir fordern freie Wahlen!" Die Urheber der 40 cm großen Buchstaben werden ausfindig gemacht und am 18. Juni verhaftet. Bereits am 20. Juni wird vor dem Bezirksgericht Gera gegen die beiden Arbeiter verhandelt, denen auch vorgeworfen wird, am 17. Juni im VEB Hescho Hermsdorf zur Arbeitsniederlegung und Demonstration "aufgehetzt" zu haben. Die Urteile: zwei bzw. anderthalb Jahre Zuchthaus.