Mein Großvater
war seit 1949 als Keramik-Dreher in Hermsdorf
tätig. Er arbeitete im größten Hermsdorfer Betrieb, der damals unter Verwaltung der sowjetischen Militäradministration stand und unter SAG HESCHO-KAHLA, Abteilung Kabel Hermsdorf firmierte. Generaldirektor war Dimitri Iwanowitsch Jessakow. Diese Firma umfasste die Produktionsstätten Hermsdorf mit Gera, Kahla, Köppelsdorf, Spegau und Könitz.
Es wurden vornehmlich Hochspannungs- und Niederspannungskondensatoren sowie chemisches und technisches Porzellan produziere. Zur Versorgung der Bevölkerung wurden gleichzeitig feuerfestes Geschirr, Bügeleisen, Milchtöpfe und Isolatoren produziert. Im Jahr 1952 erfolgte die Übergabe an die Regierung der DDR und die Umgewandelt in einen Volkseigenen Betrieb (VEB) Keramische Werke Hermsdorf.
Zahlreiche, der 1953 beschäftigte Arbeiter waren auch gewerkschaftlich
organisiert waren. Mein Opa selbst war Mitglied in einer Abteilungsgewerkschaftsleitung
(AGL). Diese unterstanden der Betriebsgewerkschaftsleitung
(BGL). Anfänglich hatte die Gewerkschaft noch erheblichen
Einfluss auf das Arbeitsleben und die Produktion ihrer Unternehmen, schwenkten später aber voll auf den Kurs von Partei und Regierung ein.
Die unmittelbaren Tage vor dem 17. Juni hatte wohl noch keiner an
Demonstrationen der Arbeiter gedacht. In Flüsterpropaganda
verbreitete sichr schon das Gerücht über neue Normerhöhung, doch
erst am 17. Juni bestätigten sich diese. Eigentlich begaben sich die
Arbeiter auch an diesem Tag wie gewohnt zu ihren Arbeitsplätzen. Allerdings verbreitete sich schnell die Nachricht und die Betriebsleitung bekam einen
entsprechenden Bescheid geschickt. Die Arbeitsnormen sollen um 10 Prozent
gesteigert und gleichzeitig die Lebensmittelpreise angehoben werden.
Die Belegschaft der Abteilungen
der KWH reagierten verhaltener,
einige weniger heftiger. Die meisten legten zunächst ihre Arbeit nieder
und warteten das Geschehen ab.
Am engagiertesten soll dabei die Schleiferei gewesen sein, welche schon zum
Protestmarsch aufrufen wollte. Dieser endete jedoch auf dem Fabrikhof.
Das Verhalten der SED-Parteimitglieder in dieser Situation war eher zurückhaltend.
Manche verliesen sogar das Werk. Höchstwahrscheinlich
hatten sie Angst, dass die allgemeine Entrüstung aggressivere Züge
annehmen könnte.
Gegen 10 Uhr mussten schließlich die
Abteilungsgewerkschaftsleiter, so auch mein Opa, zu einer Versammlung der zur BGL antreten. Sie fand
im Konferenzraum im „Weißen Haus“ statt.. Mein Opa und seine Kollegen
sollten ihre Unterschrift unter den Normerhöhungsbeschluss setzen,
damit sie in Kraft treten können. Als jedoch alle Gewerkschaftler
geschlossen aufstanden und den Saal verließen, ohne das Manuskript
unterzeichnet zu haben, waren die Beschlüsse zunächst gescheitert.
Die Arbeitnehmervertreter kehrten in ihre Abteilungen zurück. Dort
berichteten sie von der Angelegenheit, dass mit der Verweigerung der Gewerkschaften
die Normerhöhungen nicht durchgesetzt werden können. Die unruhigen
Arbeiter konnten in etlichen Diskussionen schließlich beschwichtigt
werden, sodass die Aufruhrstimmung in Hermsdorf nicht in Demonstrationen
ausartete.
Mein Opa verließ bei Dienstschluss seinen Arbeitsplatz. Mit dem
Bus, welcher planmäßig fuhr, begab er sich zu seinem Wohnsitz
nach Eisenberg, ohne zu ahnen, dass das Geschehen dort ganz anders abgelaufen
war.
Am späten Nachmittag, als er gerade Holz hackte, kam ein Kumpel durch
das Tor gestürmt. Erhitzt erzählte er von einem Demonstrationszug,
der sich Richtung Rathaus am Eisenberger Marktplatz bewegte. Doch mein
Großvater ließ sich nicht dazu überreden sich anzuschließen.
Erst einige Tage später erfuhr er den genauen Ablauf der Demonstration
in Eisenberg. Ein gewisser Herr Knoll, welcher nach dem 17. Juni in der KWH
eingestellt wurde, erzählte seine Geschichte. Er wäre bis zum
Tag des Volksaufstandes Leiter des Werkschutzes im Eisenberger Schamotte-Werk
gewesen. Dies war ein Zulieferbetrieb für Schammotteteile für die Porzellanfabriken im Thüringer Raum. Hier formierten sich die Arbeiter zu Protesten und das energischer
als in Hermsdorf. Die Arbeiterschaft wollte geeint auf die Straßen
demonstrieren gehen, weil die dortigen Gewerkschaften nicht eingelenkt
hatten. Werkschutzleiter Knoll und seine Mitarbeiter sollte die
Arbeiter an den Fabriktoren aufhalten, was wegen der zahlenmäßigen
Unterlegenheit natürlich misslang, schließlich waren auch hier
ungefähr 500 Angestellte an den Maschinen tätig. So konnte der
Demonstrationszug bis zum Marktplatz vorstoßen, wo man lauthals
gegen die Normerhöhung protestierte. Dies war noch nicht lang
im Gange, da kam eine Nachricht aus Silbitz. Die Arbeiter aus dem dortigen
Stahlwerk wären unterwegs nach Eisenberg um sich den Kameraden anzuschließen.
Doch die Enttäuschung folgte auf den Fuß. Schnell erfolgte nach dem Eintreffen der Demonstranten
auf dem Marktplatz der Aufmarsch sowjetischer Soldaten und sogar ein Panzer
fuhr vor. Mit Warnschüssen demonstrierten sie ihre Überlegenheit,
die Menge wurde auseinander getrieben.
Auch der Trupp aus dem Silbitzer Stahlwerk wurde an der Stadtgrenze von
Soldaten aufgehalten und zur Umkehr gezwungen. Damit konnte in Eisenberg,
wie in vielen anderen ostdeutschen Städten, der Aufstand nur mit
sowjetischer Militärhilfe unterdrückt werden.
Ob es als Konsequenz Verhaftungen gab, ist nicht bekannt.
Lediglich die Entlassung des Werkschutzleiters Knoll ist überliefert, wodurch
er eben in der KWH eine neue Arbeit suchte. Die Gewerkschaft in Hermsdorf
jedoch blieb unberührt, schließlich behielt sie Recht, da die
Normerhöhungen nicht umgesetzt wurden.
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