23.11.1905 - Schuss aus Hermsdorfer Porzellankanone
Einmaliges Experiment in Technischer Hochschule Charlottenburg auch vor kaiserlichen Augen

Friedmar Kerbe

 

Um die Jahrhundertwende war Elektroporzellan trotz seines erfolgreichen Einsatzes als Freileitungsisolator in der Fernmelde- und Hochspannungstechnik ansonsten ein noch umstrittener Konstruktionswerkstoff. Um so mehr war es ein besonderes Verdienst der Porzellanfabrik Hermsdorf-Klosterlausnitz, die seit 1892 sukzessive auf Erzeugnisse aus Elektroporzellan umstellte, dass in ihrem Auftrag Prof. Dr. Robert M. Friese 1904 mit der Monographie „Das Porzellan als Isolier- und Konstruktions-material in der Elektrotechnik“ eine erste zusammenfassende Darstellung dieses Werkstoffs und seiner Einsatzmöglichkeiten herausgab. Um aber einen weiteren, höchst anschaulichen Beweis für die mechanische Belastbarkeit von Elektroporzellan zu erbringen, kam es vor 100 Jahren zur Idee und Realisierung einer Porzellan-Kanone, aus der am 23.11.1905 in der Aula der TH Charlottenburg jener denkwürdige Schuss abgefeuert wurde, dem unter namhaften Persönlichkeiten auch Kaiser Wilhelm II. beiwohnte.
Der Schöpfer dieser Kuriosität, der langjährige Leiter des Hermsdorfer Prüf- und Versuchsfeldes Dr. William Weicker, hat viel später, im Jahre 1943, diese Begebenheit aus der Frühzeit der keramischen Isoliertechnik authentisch für die Elektrotechnischen Zeitschrift niedergeschrieben. Anlass für das Experiment war die 7. Hauptversammlung der Schiffbautechnischen Gesellschaft, zu der Prof. W. Kübler, Lehrstuhlleiter für Elektromaschinenbau an der TH Dresden, einen Vortrag über „Die vermeintlichen Gefahren der elektrischen Betriebe“ vorgesehen hatte. Dabei wollte er neben einer Reihe von elektrischen Überschlagversuchen an Porzellan-Isolatoren in einigen möglichst drastischen Experimenten die mechanische Belastbarkeit von Elektroporzellan auf anschaulichste Weise demonstrieren.
Gemeinsam mit Dr. Weicker wurde für diese Zwecke eine ca. 30 cm große, relativ einfache Nachbildung einer Kanone entworfen und in der Hermsdorfer Porzellanfabrik gefertigt. Das Rohr sollte mit ausreichend Pulver gefüllt, vorn mit einem schwach konischen Holzbolzen verschlossen und über zwei seitlich eingeführte Metallstifte elektrisch gezündet werden. Alle Bauteile wurden in Hermsdorf  konstruiert, gefertigt und in wiederholten Vorversuchen erprobt.
So kam mit dem 23.11.1905 der große Tag, an dem Dr. Weicker auf besonderen Wunsch von Prof. Kübler die vorerwähnten Versuche selbst dem erlauchten Hörerkreis vorführen sollte. Endlich war, nachdem während des Vortrages von Pof. Kübler alle übrigen Experimente wunschgemäß verlaufen waren, der spannende Augenblick des Abschießens der Kanone gekommen. Zitat Dr. Weicker: „Die Kanone, für die ich vorsichtshalber noch einen kräftigen Drahtkäfig hatte anfertigen lassen, in den sie während des Abschießens gestellt wurde, tat ihre Schuldigkeit: Ohne dass das Porzellanrohr oder die Lafette im geringsten Schaden nahmen, wurde das Geschoss auf eine mehrere Meter entfernte Schießscheibe abgefeuert. Und wenn der Schuss auch nicht gerade ins Schwarze traf, so verfehlten der sehr laute Knall, der starke Pulverrauch und die Tatsache, dass ich die Kanone danach völlig unversehrt vorzeigen konnte, nicht ihre Wirkung auf die Hörer.

Diese Porzellankanone wurde vor Jahrzehnten durch Prof. Dr. Theodor Haase während seiner Hermsdorfer Schaffensperiode sichergestellt und befindet sich derzeit in der Vorlesungssammlung des Instituts für Keramik, Glas- und Baustofftechnik der TU Bergakademie Freiberg/Sa. Sie wurde vor 10 Jahren im Rahmen einer Bezirksgruppentagung der Deutschen Keramischen Gesellschaft am 03.11.1995 in Freiberg erstmals wieder öffentlich vorgestellt. In Hinblick auf ihr 100-jähriges Jubiläum wurde sie am 14.09.2005 durch Friedmar Kerbe vom Verein für Regional- und Technikgeschichte Hermsdorf e. V. bei der Firma ARGILLON GmbH im bayerischen Redwitz im Rahmen einer Gemeinschaftstagung der DKG - Fachausschüsse „Geschichte der Keramischen Technik“ und „Werkstoffprüfung“ erneut präsentiert.
 
Porzellankanone