Ernst Gabler - Gedicht "Hermsdorf im Jahr 2000

Ernst Gabler schrieb dieses Gedicht zwischen 1953 - 1956, legte es seinem Testament bei und verfügte, dass es erst 2000 zu öffnen sei
   

Jüngst lag ich unterm Apfelbaum,
da hatt’ ich einen seltsam Traum:

Schnell durch die Lüfte sausend,
führt Morpheus mich an seiner Hand
hin an Groß-Hermsdorfs Städterand
im Jahr des Heils 2000.

Ein Feld zu sehn fiel ernstlich schwer.
Die ganze Flur ein Häusermeer
Mit Straßen, die sich schnitten.
Sie waren „Avenue“ benannt,
wie’ s in New York schon längst bekannt
und auch bei den stolzen Briten.

Die Straßenbahn fährt still und leis
Auf gummiüberdecktem Gleis;
Da gibt es kein Gequietsche.
Und dort im „Bären-Hofbräuhaus“
Da ist alltäglich Festagsschmaus
Gar fleißig kreist die „Pietsche“.

Und dann die Schulen, seht nur, seht!
Wie alles da am Schnürchen geht,
es gibt nicht Unterrichter.
Der Schuldirektor – tücht’ ger Mann!
Der schaffte für die Jugend an
den „Nürnberger Trichter“.

Was früher mühsam sich enthüllte,
das wird nun einfach eingefüllt
den Mädchen und den Knaben.
Zum Wechsel nun nach dieser Pein,
da stellt man 1.000 Ponnys ein,
darauf die Kinder traben.

Im Schulhof stehet Rost an Rost
Da prutzelt eine leck’ re Kost:
Rostbrätchen und Rostwürste.
Man isst, soviel nur einer will,
auch Apfelsprudel gibt es viel,
damit nicht einer dürste.

Die Kinder wissen bald genug
Und sind nach kurzer Zeit so klug,
wie einst wohl nach 10 Jahren.
Sie treiben mannigfachen Sport
im Stadion und andren Ort.
Es gibt ja kaum Gefahren.

Im „Langbein-Werk“ ist Großbetrieb,
wie Hermsdorfs Weltblatt jüngstens schrieb,
sie „tolle Kisten“ bauen.
Der Flugzeughafen dicht dabei.
In jeder Stunde landen drei,
die prächtig sind zu schauen.

Dort an dem Zaune dicht gedrängt
Wohl eine Meute Jungen hängt,
die voller Neugier gaffen.
Sie sehen manchen Passagier,
der mitbringt oft ein seltnes Tier,
mitunter einen Affen.

Die Steuern all sind abgeschafft.
Ein jeder braucht die ganze Kraft,
sein Geld wohl zu verzehren.
Nimmt ein Geldschein da ein Mann
und brennt damit sein Pfeifchen an,
wer will es ihm verwehren?

Im Riesenkaufhaus Hellermann
ein jeder gratis haben kann
Was er sich wünscht zum Leben.
Es ist auch wirklich nicht geprahlt:
Die Stadtverwaltung allen zahlt,
die Lieferschein abgeben.

Geheizt zu werden braucht nicht mehr.
Es geben die Atome her
uns Wärme, Kraft für alles.
Im prächt’ gen Krankenhaus der Stadt
- das viele Atomgeräte hat –
gibt’s Hilfe jeden Falles.

Am U-Bahnhof „Roter Strumpf“
ist leider noch ein kleiner Sumpf,
doch wird er bald verschwinden.
Der Rat der Stadt, der will darauf
nach eines Jahres kurzem Lauf
die Kunsteisbahn noch gründen.

Im „Loche“ steht’s „Palast-Hotel“
beim Bau musst’ dienen als Modell
Venedig – Kopenhagen.
Der Luxus drin ist riesig groß.
Bei Rumkaffee – da ist was los!
Man singt, 's ist nicht zu sagen!!

Wo’ s Kirchenholz dereinst mal stand,
zeigt sich in würdigem Gewand
das neue Krematorium.
Und imposant im neuen Stil
für solche, die Musik als Ziel,
ist Köchers Kons’ vatorium.


Im Werkgeländ’ der „Hescho“ doch
ist nur ein einz’ ges großes Loch –
Erinnerung frührer Zeiten.
Darin gibt’ s keine Arbeit mehr,
Porz’llan kommt ja von China her.
Warum es selbst bereiten?

Der Auto-Rasthof eingeengt
sich in das Häusermeer eindrängt;
die Hochbahn fährt darüber.
Schleifreisen-Vorort lässt so schön
uns dort die neue Avus sehn,
drauf Autos aller Kaliber.

Der Zeitzbach und der Raudenbach
sind Flüsse tief und teils auch flach,
jetzt durch Kanal verbunden.
Die Schiffe von der Saale her,
die tragen Lasten viel und schwer
hin zu den sächs’ chen Kunden.

Wenn nach Schleifreisens Höh ich geh,
ich dort den neuen Leuchtturm seh
für Fluß- und Luftfahrzeuge.
Die Höh auch ein Maibaum trägt,
weil dort man treulich weiter pflegt
die alten Holzlandbräuche.

Am „Weißen Berg“ der Funkturm ragt.
Von dort wird täglich angesagt,
was heut es gibt zu essen.
Man kündet auch den neusten Flirt,
Konzert, Theater, Film – was wird
zu melden nicht vergessen.

Mit Löwen fährt man auch zu viern
vergnüglich in der Stadt spaziern,
man reitet Elefanten.
Man fühlt sich als Maharadscha,
es ist ja alles für uns da.
Ein „Hoch“ die das erfanden!

Die alten Bauten sind dahin,
wir haben’s ja – das ist der Sinn –
schon himmlisch schön auf Erden.
Wer sich darein nur recht versenkt,
bei sich im Stillen er dann denkt:
“Wie mags 3000 werden?

 

 

Morpheus = Griechischer Gott der Träume

 

Avenue = französich Straße
Pietsche = Trinke = Redewendung "Wir wollen einen pietschen"

Nürnberger Trichter = nach einem alten Märchen wird den Schülern so das Wissen "eingetrichtert"

 

 

 

 

 

 

 

Langbein-Werk = Kistenfabrik in Hermsdorf siehe Industriegeschichte

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Hellermann = Zusammenhang z.Z. noch unklar

 

 

 

 

 


Roter Strumpf = Alte Flurbezeichnung, später für Wohngebiet und Gartenanlage übernommen.

 

 

 

Rumkaffee = Hermsdorfer "Nationalgetränk"

 


Kirchenholzsiedlung = Hermsdorfer Wohngebiet



Köcher = früheres Baugeschäft in Hermsdorf

Hescho = später Keramische Werke siehe KWH Industriegeschichte

 

 

 


Avus
= Teilstrecke der Berliner Autobahn (früher Rennstrecke)

 

 

 

 

 

 

 

 

Weißer Berg = höchste Erhebung zwischen Hermsdorf und Bobeck








Maharadscha = orientalischer Herrscher