Die Parochie Hermsdorf

 
Aus  „Geschichte der Kirchen und Schulen des Herzogtums Sachsen - Altenburg“
D. theol. Dr. phil. August Julius Löbe und Canon Ernst Löbe
Dritter Band „Ephorien des Westkreises mit der besonderen Berücksichtigung der Ortsgeschichte“ Seite 77 und 78.  Altenburg - Druck und Verlag von Oskar Bonde 1891
(Teilweise zum besseren Verständnis geänderte Schreibweisen nach der neuen Rechtschreibung)
 
 

Diese Parochie [1] , welche das Pfarrdorf und die Filiale Oberndorf und Reichenbach umfasst, ist nach Klosterlausnitz die volkreichste Landparochie des Westkreises; während sie im

-   Jahre 1841 noch 2041 Einwohner hatte, war die Zahl derselben im
-   Jahre 1880 auf 2674 und
-   1885 auf 2716 (unter ihnen 1302 männlichen und 1414 weiblichen Geschlechts) gestiegen, welche auf 475 Wohnhäuser sich verteilten und 597 Haushaltungen bildeten.

Der Flächengehalt der Parochie beträgt 1423 ha 82 a. Dieselbe bildet  einen eigenen Amtsbezirk mit dem derzeitigen Sitze  in Hermsdorf, während sie in 2 Standesamtsbezirke, nämlich Hermsdorf und Reichenbach, geteilt ist; zu letzterem gehört noch Oberndorf. In kirchlich statistischer Beziehung wurden gezählt in den Jahren

  1840 1860 1880 1883 1886

Taufen  70 118 130 119 128
Trauungen 9 23 22 23 37
Begräbnisse 67 46 105 75 79
Kommunikanten [2]   2283 1906 1865 1795 1841

Das Pfarrdorf Hermsdorf liegt ziemlich in der Mitte zwischen den beiden Städten Eisenberg und Roda, von jeder etwas über 1 Meile [3] entfernt, auf einer Hochebene an der Naumburger, früher Regensburger oder Oberländischen Straße, von welcher sich hier die über Klosterlausnitz nach Eisenberg führende abzweigt sowie an der Weimar - Geraischen Eisenbahn. Es ist einer der Hauptorte des sogenannten Holzlandes und war noch vor zwanzig Jahren nach drei Seiten hin von Nadelholzwaldungen eingeschlossen, von denen aber seitdem große Strecken gelichtet worden sind. In der Nähe entspringt die Rauda oder der Raudenbach, welcher über Weißenborn und Rauda zur Elster geht. Der Boden ist hier und da fruchtbar, meist aber ist die Unterlage mit Sand vermischter Ton, welcher den Regen nicht eindringen lässt, weshalb diese Felder in nassen Jahren nur geringen Ertrag geben; ausgebreitet ist der Anbau von Kartoffeln. Die Dorfflur umfasst 645 ha 60 a mit 26.520 steuerpflichtigen und 1.307 steuerfreien Einheiten. Zu Anfang des 16. Jahrhunderts hatte das Dorf nur

-   18 Häuser,
-   im Jahre 1673 zählte deren bereits 63,
-   im Jahre 1823 schon 102 Häuser mit 851 Einwohnern und
-   1841 war die Häuserzahl auf 180 und die Seelenzahl auf 1096 gestiegen;
-   1880 hatte es 1542 Einwohner in 263 Wohnhäusern und bei der letzten Volkszählung vom
-   1. Dezember 1885 gab es 1567 Einwohner (als 764 männlichen und 803 weiblichen Geschlechts) in 267 Wohnhäusern und 350 Haushaltungen.

Die Einwohner beschäftigten sich zum größten Teil mit Holzarbeiten aller Art, sägen Bretter, schneiden Latten, machen Zulagen [4] zu Gebäuden, fertigen Holzwaren (Leitern, Schubkarren, Backtröge, Rechen u.s.w.), viele treiben auch Handel; im Sommer bildet das Einsammeln der Waldbeeren einen einträglichen Erwerbszweig; es gibt auch verschiedene Handwerker hier, als Schmiede, Bäcker, Fleischer, Seiler, Schneider und Schuhmacher, ferner Schnittwarenhändler, 2 Brauereien, 1 Dampfschneidemühle.

Schon der Name des Dorfes, welcher urkundlich auch Hermannsdorf [5] lautet, weist auf seinen deutschen Ursprung und seine Gründer hin, doch hat sich auch die Sage dessen bemächtigt, welche erzählt, zwei adelige Damen aus Schöngleina wären auf einer Wallfahrt nach St. Gangloff in dem Walde, welcher jetzt der Kirche zu Hermsdorf gehört, von Räubern angefallen, aber von einigen in der Nähe kohlenden Köhlern aus deren Händen befreit worden, aus Dankbarkeit für ihre Rettung hätten sie hier ein Gotteshaus erbaut, dasselbe mit einem bedeutenden Teile der Waldungen, welche sie in der Gegend besessen, beschenkt und den Wunsch ausgesprochen, dass um das Gotteshaus ein Dorf entstehen möchte, indem sie ausgerufen hätten: „Her muß Dorf!", woher dasselbe dann seinen Namen erhalten hätte. Das Dorf wird urkundlich zuerst 1256 erwähnt, in welchem Jahre es aus dem Besitz Gottfrieds von Kirchberg mit all seinen Zugehörungen  vom Markgrafen Heinrich dem Erlauchten von Meißen dem Kloster Lausnitz geeignet wurde, welches bis zu seiner Aufhebung das Kirchenpatronat besaß, außerdem hier 6 Pferde- und 42 Handfröhner hatte. Schon 1485 gab es hier ein Geleite an der durch das Dorf führenden Landstraße, welche 1837 und 1838 chauffiert wurde. Im Jahre 1529 werden hier folgende 12 Bauern erwähnt, welche dem Pfarrer Decem [6] gaben:

 
 

-   Nicol Fischer,
-   Hans Harris,
-   Merten Walter,
-   Urban Gebler,
-   Hans Symon,
-   Jobst Lonnser,

-   Jobst Plotner,
-   Hans Hofmann,
-   Hans Kargs,
-   Erhard Wetzel,
-   Jobst Fischer,
-   Hans Hase,
-   Nicol Hopf,
-   Nicol Lonnser,
-   Mathes Baum,
-   Jobst Harris,
-   Hans Mattes.
 
  • Am 12. und 13. Oktober 1806 marschierten französische Truppen durch die Dörfer der Parochie nach Naumburg zu und plünderten die Wohnungen; die Einwohner hatten sich bis auf wenige in die Wälder geflüchtet.
  • Am 21. April 1809 war hier das königlich sächsische Infanterieregiment Maximilian einquartiert.
  • Im Oktober 1813 fanden wieder starke Truppendurchmärsche statt. 
  • 1812 wurde das Glockengerüst mit einem Aufwand von 101 aßo. repariert.  
  • Am 27. Dezember 1851 brannte ein Wohnhaus,
  • 28. September 1855 deren 2 ab.
  • Am 5. Oktober 1864 hielt die die Landesbibelgesellschaft hier ihr Jahresfest ab.
  • Im Jahre 1868 wurde aus den Mitteln des Kirchenäras eine zweite Feuerspritze für 715 Taler angeschafft.
  • In demselben Jahre feierten am 21. Oktober der Landesmissionsverein und am
  • 8. Juli 1869 der Hauptverein der Gustav Adolf - Stiftung im Herzogtum hier ihre Jahres - Feste.
  • Am 24.02. 1872 brannte die Beyersche Schneidemühle nieder.
  • Bei der Feier des Friedensfestes am 18. Juni 1871 wurde am Wege nach Reichenbach eine Eiche [7] gepflanzt.
  • Am 2. Juni 1874 wurde die 18jährige Agnes Präßler auf dem Felde vom Blitz erschlagen.
  • Brände durch Blitzschlag veranlaßt fanden statt am 27. Juni 1876 und am 6. Juni 1877.
  • Zum Gedächtnis an die Feier des 100jährigen Geburtstages Luthers wurde auf dem Platze vor der Kirche eine Linde gepflanzt.
  • Im Jahre 1885 wurde die Straßenbeleuchtung eingeführt.
  • Am 31. März 1885 brannte das Gemeindebrauhaus nieder.
  • den 24. Oktober 1886 die Scheune des Holzhändlers August Riedel und das Wohnhaus des Holzhändlers August Serfling.
  • Am 1. Dezember 1886 wurde hier in Verbindung mit der Postanstalt eine Reichstelegrafenanstalt errichtet.
 

 
[1] Parochie = Amtsbezirk eines Pfarrers (Parochus), d. h. ein Pfarrbezirk oder Pfarrei. Sie ist der unterste, kirchliche Verwaltungs- und Seelsorgebezirk mit einem eigenen Pfarrer einer Kirche (Konfession), die nach dem Parochialprinzip organisiert ist.
[2] Kommunikanten - Empfänger des heiligen Abendmahls eine überwältigende Erfahrung. Der Pfarrer reicht den Kommunikanten Christi wahren Leib unter dem Brot und Christi wahres Blut unter dem Wein. Voraussetzung für die Zulassung ist die Taufe, die Konfirmation und, bei Kommunionswilligen aus anderen Konfessionen, die volle Kirchen- und Abendmahlsgemeinschaft. Zum Empfang der heiligen Gaben knien die Kommunikanten am Altar nieder (üblich in der selbstständigen evangelisch-lutherischen Kirche flächendeckend, in lutherischen Gemeinden der Landeskirchen nur noch vereinzelt). In der selbstständigen evangelisch-lutherischen Kirche ist in der Regel die Mundkommunion üblich. In der Kommunion der Gaben erfolgt nach lutherischer Auffassung Vergebung der Sünden, entsteht Gemeinschaft durch Christi Leib und Blut einerseits mit Jesus Christus selbst und andererseits unter den Gläubigen.
Die hohe Zahl im Jahr 1840 kann nicht erklärt werden, da diese höher ist als die Zahl der Einwohner.
[3] Meile in alten Schriften gelegentlich verwendet statt Leuga (auch Leuge) einer ehemaligen Längenmaßeinheit. Das Wort stammt von Lateinisch leuca, einem Lehnwort aus dem Gallischen (Keltisch lieska). Ursprünglich bezeichnet eine Leuga die Entfernung, welche ein Mensch oder ein Pferd in einer Stunde zurücklegen kann, daher das Synonym Wegstunde.
[4] Zulagen zu Gebäuden - Holzschindeln, Dachschindeln, Balken für Fachwerkhäuser, Dächer u. ä.
[5] Herkunft des Namen Hermsdorf - Eine wissenschaftlichere Ansicht vertreten Pertz und von Giesebrecht, zwei Historiker des 19. Jahrhunderts, die sich um die Erforschung des deutschen Mittelalters verdient gemacht haben. Sie nehmen an, dass das in folgender Urkunde erwähnte „Ermiendorf“ mit Hermsdorf identisch ist. Die Urkunde besagt, dass 1173 auf dem Hoftag in „Ermiendorf“ Kaiser Friedrich I. den König von Böhmen seiner Würde entsetzt und das Herzogtum an Sobeslaw gibt. Es kann sich also beim Hoftag von 1173 nur um ein Hermsdorf handeln, das weit genug abliegt, um Altenburg oder die Kaiserpfalz Kayna auszuschließen, das aber im Hinblick auf die fehlenden Eintragungen in den Reiseberichten des Kaisers wiederum nahe genug liegt. Der Zeitraum der fehlenden Eintragungen ist aber nur gering, so dass Pertz und von Giesebrecht daraus schlossen, dass mit "Ermiendorf" nur das Hermsdorf bei Eisenberg gemeint ist, da sich Friedrich I. mit seinem Gefolge (auf Grund der damaligen Verkehrssituation) nicht sehr weit entfernt haben konnte. Die Verkehrsmöglichkeiten für den Kaiser-Tross waren die alte Regensburger Handelsstraße sowie die Köstritzer Straße. Aus den Ausführungen der beiden Historiker kann man schließen, dass die Urkunde von 1256 damit nicht die erste ist.
Diese Aussage untermauert die Autorin Sabine Erbert in ihrer historischen Romanreihe „Das Geheimnis der Hebamme“ - „Die Spur der Hebamme“ und „Die Entscheidung der Hebamme“. Bei ihren Recherchen fand sie heraus, dass dieser geheime Hoftag 1173 wie beschrieben stattgefunden hatte. Einziger Ort, der dafür in Frage kommt, die alte Ausspanne an der Handelsstraße, die heutige Gaststätte „Zum Schwarzen Bär“.

[6] Decem - Nach der Gründung des Dorfes und der Kirche hatten sich die Bauern verpflichtet, ihrem Kirchner (Hilfskraft der Kirchner z. B. Glöckner, auch der Lehrer der Schule)  als Entlohnung Korn, Brot u. a. zu reichen. Dieser so genannte Decem wurde 1859  abgelöst.
[7] (Friedens-)Eiche gepflanzt - Pflanzung erfolgte zum Sedanfest (Sedantag - ehemaliger Feiertag am 02.September bis 27.08.1918), der durch die Weimarer Republik wieder abgeschafft wurde, da er die Feindschaft zu Frankreich besiegelte. 2008 fand dieses Ereignis wieder seine „Würdigung“, indem der Hermsdorfer Bürgermeister in einem Stadtratsbeschluss die neue Umgehungsstraße  in „An der Friedenseiche“ benennen ließ. In seiner Laudatio dazu verwendete er die Ausführungen dazu wie auf dieser Seite beschrieben, vergaß aber bis zum Schluss zu lesen, dass der Feiertag wieder abgeschafft wurde. Der Beschluss ging mit einer Enthaltung durch und wurde auch nicht nach Protest revidiert.

 

Seitenanfang